Schneidenwinkel in Relation zu Schärfe und Härte
Wie in Kapitel I erwähnt, hat der Winkel der Schneide einen großen Einfluss sowohl auf die Schärfe als auch auf die Schnitthaltigkeit. Vergleicht man eine Klinge mit schmalerem Schneidenwinkel wie bei B1 mit dem breiteren Winkel bei A1, lässt sich die Klinge B1 offensichtlich leichter durch Lebensmittel schieben, was wir als Schärfe empfinden.
Wenn die Schneide bereits leicht verrundet ist (siehe rote Linie in Abb. A2, B2), wird die Klinge B2 aufgrund der dünneren Schneide immer noch in der Lage sein, Lebensmittel zu durchtrennen, während sich die Klinge A2 ziemlich stumpf anfühlen dürfte. Dies zeigt, dass eine Klinge mit einem spitzeren Winkel an der Schneide länger scharf bleibt.
A1
B1
A2
B2
Beim Betrachten von B1 ist auch leicht zu verstehen, dass ein härteres Material benötigt wird, damit die Schneide stabil bleibt. Daraus ergeben sich 2 wichtige Erkenntnisse:
-
Je härter das Messer, desto spitzer der Winkel, der gehalten werden kann.
-
Je spitzer der Winkel an der Schneide, desto schärfer ist das Messer und desto länger hält die Schärfe an.
In Kapitel II wird erläutert, dass eine dünnere Klingengeomtrie die Klinge auch empfindlicher macht. Dies trifft auch für die Schneide zu - je dünner sie ausgeführt ist, desto empfindlicher ist sie und desto sorgsamer muss man sie behandeln.
Westlicher Schneidenwinkel
In Kapitel II gingen wir auf die Unterschiede zwischen der westlichen und japanischen Geometrie ein. Der Philosophie eines robusten Messers aus weicherem Stahl folgend, werden westliche Messer i.d.R. mit einem weiteren Winkel von 30-35° (oder 15-17.5° pro Seite) geschärft. Im Ergebnis sind die Messer so weniger scharf und werden auch schneller stumpf, sind aber robuster und werden weniger leicht beschädigt bei nicht sachgemäßem Gebrauch.
Westliche Messer werden symmetrisch geschärft (Abb. C), d.h. mit beidseitig gleichem Winkel.
C
Japanischer Schneidenwinkel und asymmetrische Schneide
Der japanischen Philosophie mit dünnen Klingen folgend, werden japanische Messer mit einem spitzeren Winkel von ca. 20° geschärft, d.h. ca. 10° pro Seite. Damit sind japanische Messer schärfer und bleiben länger scharf. Aber die Schneide wird empfindlicher und ist anfälliger für Ausbrüche bei Fehlanwendung.
Die Schneide von japanischen Messern wird oft asymmetrisch (70/30) ausgeführt, mit einem linksseitig weiteren Winkel (und einer schmaleren Fase) und einem spitzeren Winkel (breitere Fase) rechts. Eine 70/30 Schneide bedeutet, dass bei einem Gesamtwinkel von 20° der Winkel links 14° und rechts 6° ist.
D
Welche Auswirkungen hat nun eine asymmetrische Schneide? In der Theorie (Abb. D) wird die Klinge beim Schneiden nach rechts geführt, da der breitere Winkel links mehr Widerstand bietet und die Klinge nach rechts drückt. Dadurch werden gerade Schnitte schwieriger. Warum haben dann japanische Messer eine asymmetrische Schneide?
Dazu gibt es unterschiedliche Theorien. Eine davon ist, dass dies zum Ausgleich einer Asymmetrie in der Klingengeometrie dienen soll (dünnere Klinge links), welche bei japanischen Messern üblich ist. Eine dickere Klinge rechtsseitig würde beim Schneiden nach links drücken, dies aber durch den weiteren Schneidenwinkel links kompensiert, der die Klinge wieder nach rechts ausrichtet und somit zu einem in der Summe geraden Schnitt führt.
Viele international verkaufte japanische Messer sind aus Mehrlagenmaterial hergestellt. Da es bei diesen essentiell ist, dass das Kernmaterial mittig ausgerichtet ist und beim Nachschärfen auch mittig bleibt, macht eine asymmetrische Klinge wenig Sinn.
Weiterhin zeigt sich in der reinen Schneidleistung (Anfangsschärfe und Schnitthaltigkeit) kein Unterschied zwischen symmetrischen und asymmetrischen Schneiden. Deshalb ist die Symmetrie an der Schneide kein Qualitätskriterium und kann beim Nachschärfen des Messers angepasst werden.